Allein in Deutschland gelten 15 Prozent der Kinder als übergewichtig, weltweit gilt jeder achte Mensch als adipös . Und es könnten noch deutlich mehr werden: Sollten sich gegenwärtige Trends fortsetzen, könnten einer Analyse zufolge in 25 Jahren rund ein Drittel der Kinder und jungen Erwachsenen weltweit übergewichtig oder adipös sein. Den höchsten Anteil an Adipösen unter den 5- bis 24-Jährigen erwarten die Forschenden im arabischen Raum (Nordafrika und Naher Osten), in Deutschland könnten 20 bis 23 Prozent der jungen Menschen betroffen sein. Das werde mit mehr Herz-, Atem- und Fruchtbarkeitsproblemen, Diabetes, Krebs sowie psychischen Problemen einhergehen, warnt das Team.
Als Ursache für die Entwicklung nennen die Studienautoren recht allgemeine Veränderungen, etwa bei der Mediennutzung, und die Umstellung hin zu westlichen Ernährungsweisen. Ohne entsprechende politische Maßnahmen und Reformen könnten demnach bis 2050 weltweit voraussichtlich 3,8 Milliarden Erwachsene und 746 Millionen Kinder und Jugendliche übergewichtig oder adipös sein.
Das Forschungsteam um Jessica Kerr vom Murdoch Children’s Research Institute in Melbourne (Australien) hatte für die im Fachmagazin »The Lancet« vorgestellte Studie Daten des Projekts »Global Burden of Disease« (GBD) genutzt. Bei 18- bis 24-Jährigen gilt als übergewichtig, wer einen BMI von 25 bis unter 30 aufweist, als adipös, wer einen BMI von 30 oder mehr hat. Für Kinder und Jugendliche gelten andere Grenzwerte nach den Kriterien der International Obesity Task Force.
Der Berechnung von Kerrs Team zufolge haben sich die Raten von Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Erwachsenen in den vergangenen drei Jahrzehnten (1990 bis 2021) global mehr als verdoppelt. Mit einem weiteren deutlichen Anstieg sei gerade bei Adipositas zu rechnen: Bis 2050 könne die Gesamtzahl adipöser Kinder und Jugendlicher von rund 174 Millionen auf dann etwa 360 Millionen steigen.
Und nicht nur das: Die Autoren stellten zudem fest, dass jüngere Generationen schneller an Gewicht zunehmen als früher und Adipositas auch früher im Leben auftritt. Dies wiederum erhöhe das Risiko, dass sich Komplikationen wie Diabetes, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und mehrere Krebsarten ebenfalls schon früher im Leben entwickeln.
Jeder dritte junge Mensch mit Adipositas (130 Millionen) wird der Prognoserechnung zufolge in 25 Jahren in einer von zwei Regionen leben: Nordafrika/Naher Osten oder Lateinamerika/Karibik. Die immense Zunahme werde sowohl gesundheitliche als auch wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen haben, warnt das Forschungsteam.
Neue Therapien wie die sogenannten Abnehmspritzen werden in der Studie nicht speziell erwähnt. Die Prognosen stützen sich auf Daten der Jahre 1990 bis 2021, in denen diese Therapien noch keine große Rolle spielten, schon gar nicht bei Kindern. Keine Erwähnung findet zudem, dass die Coronapandemie mit den damit verbundenen Einschränkungen – etwa Sportangebote betreffend – den Anteil Übergewichtiger in vielen Ländern steigen ließ. Ob sich das Problem dadurch nur zeitweise oder aber anhaltend verschärft, ist vielfach noch unklar. Beide Faktoren könnten die Entwicklung der Zahlen in den kommenden Jahrzehnten beeinflussen.
Möglicherweise sogar mehr Adipöse als Übergewichtige
Für 2050 errechneten die Wissenschaftler, dass der Anteil der Adipösen unter den männlichen Kindern von 5 bis 14 Jahren im globalen Mittel sogar höher liegen könnte als der Anteil der Übergewichtigen. In Ländern mit hohem Einkommen, zu denen auch Deutschland zählt, erwarten sie etwa gleiche Anteile an Übergewichtigen und Adipösen in dieser Altersgruppe.
Die Ergebnisse wiesen auf »monumentale gesellschaftliche Versäumnisse und einen Mangel an koordinierten globalen Maßnahmen« hin, so Kerr. Zumindest einige Länder sind bereits aktiv geworden: Beispielhaft werden das Verbot zuckerhaltiger Getränke an Schulen sowie Veränderungen beim Schulessen und beim Sportunterricht genannt.
»Das Ausmaß der Epidemie ist so groß, dass Lösungen in Form von Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit gefunden werden müssen«, betont Thorkild Sørensen von der Universität Kopenhagen, der selbst nicht an der Studie beteiligt war, in einem Kommentar in »The Lancet«. Noch sei unklar, welche Maßnahmen dabei sowohl machbar als auch wirksam sein würden.