Mit Schlusspfiff sackten Protagonisten wie Danny da Costa oder Moritz Jenz enttäuscht auf dem von goldenen Glitzerschnipseln überzogenen Rasen zusammen. Die Spieler des FSV Mainz 05 hatten am Samstag ein Sondertrikot als textile Hommage an die Vereinsgründung vor 120 Jahren angezogen, die Fans hatten eine Choreografie mit roten Fähnchen aufgezogen, doch ein Sieg zum Jubiläum glückte gegen den SC Freiburg nicht. Bloß: Drückte nicht allein die erste Reaktion auf das 2:2 (1:0) aus, wie sehr die Ansprüche auch in der Nische wachsen?
Wegen der roten Karte gegen Dominik Kohr nach Notbremse (44.), dem siebten Platzverweis in der Karriere des anerkannten Grenzgängers, rückte Vorstand Christian Heidel schnell die Relationen zurecht: „Ich mag den Begriff Stolz nicht, aber die Mannschaft hat gezeigt, warum sie da oben steht.“ Über die Champions League macht sich der mit allen Höhen und Tiefen vertraute Macher nach eigener Aussage dennoch „keine Gedanken“, denn: „Ich habe keinen Bock, nachher irgendwann enttäuscht zu sein.“
Lieber werden die Glücksmomente ausgekostet. Das Heimpublikum geriet fast in Ekstase, als Abwehrspieler Andreas Hanche-Olsen nach einem Patzer von Freiburgs Torwart Noah Atubolu in Unterzahl das zwischenzeitliche 2:1 köpfelte (74.). Und was hatte Stadionsprecher Andreas Bockius allen unter den 33 305 Zuschauern in der ausverkauften Arena zugerufen, die es vielleicht nicht mitbekommen hatten? Dass Mainz 05 zwei deutsche Nationalspieler stellt! Erstmals übrigens seit 2010, als die „Bruchweg-Boys“ Lewis Holtby und André Schürrle mal bei einer Nullnummer gegen Schweden mitspielten.
Die aktuelle Nominierung von Nadiem Amiri und Jonathan Burkardt krönt eine bemerkenswerte Entwicklung, wobei der von Bundestrainer Julian Nagelsmann als „positiv Verrückter“ geadelte Bessermacher Bo Henriksen den Bogen gerne noch etwas weiter fasste. Die DFB-Auswahl könne sich auf leidenschaftliche Kicker freuen, die er als „gute Menschen“ schätze, urteilte der dänische Trainer. Amiri, 28, sei stets ein „guter Fußballer“ gewesen, vollbringe jetzt aber „auch ohne Ball“ wahre Wunder: „Das ist der nächste Schritt.“ Und was solle er noch über Burkardt, 24, sagen, der entschlossen sein 15. Saisontor erzielte (34.)? Henriksen: „Jonny ist unglaublich in der Box. Das ist auch für Deutschland ein wichtiger Spieler.“
„Wenn man die Eltern anruft und man hört, dass der Vater eine komische Stimme hat, dann wird es immer emotional“, sagt Amiri
Seine beförderten Musterschüler erklärten nach der turbulenten Partie fast ehrfürchtig, wie viel ihnen die Berufung bedeute. Der zuletzt unter Joachim Löw in der Corona-Zeit im November 2020 gegen Tschechien zum Einsatz gekommene Amiri erzählte, wie seine aus Afghanistan stammende Familie reagiert habe: „Wenn man die Eltern anruft und man hört, dass der Vater eine komische Stimme hat, dann wird es immer emotional.“ Nagelsmann sei er das erste Mal begegnet, als der noch als Jugendtrainer der TSG Hoffenheim arbeitete: „Ich habe gegen ihn mit Waldhof Mannheim 3:0 gewonnen. Die Jungs von ihm mussten danach sogar noch Läufe machen.“ Danach wechselte Amiri zur U17 in den Kraichgau, wo er schnell eine vertrauensvolle Verbindung zu einem „guten Trainer und coolen Typen“ aufbaute. Parallelen zu seinem aktuellen Vereinscoach seien unverkennbar: „Beide bringen Energie und Glaube in die Truppe.“
Burkardt freute sich derweil „sehr über meine erste richtige Nominierung – das letzte Mal wurde ich ja noch nachnominiert“. Und abseits des persönlichen Aufstiegs: „Es ist wunderschön, dass wir zu zweit sind. Das zeigt, dass man in der Nationalmannschaft sieht, was hier in Mainz passiert. Das ist fürs gesamte Team eine große Auszeichnung.“ Er gehe „mit Selbstvertrauen hin, aber irgendwelche Ansprüche zu stellen, wäre großer Quatsch“.
Das Mainzer Gespann wird am Montag eine Fahrgemeinschaft bilden, wenn sich die Nationalelf im Hotel L’Arrivee in Dortmund für die Nations-League-Viertelfinals gegen Italien versammelt. Gerne wäre auch Robin Zentner dabei gewesen, doch als dritter Torhüter bekam erneut Stefan Ortega (Manchester City) den Vorzug, was beim laut Fachmagazin Kicker notenbesten Bundesliga-Keeper eine gewisse Enttäuschung auslöste. „Ein bisschen Hoffnung hatte ich, aber ich kann es nicht ändern“, sagte Zentner, 30, der gegen die Breisgauer erneut beste Eigenwerbung betrieb. Seine Rettungstat gegen Lucas Höler hätte einen Manuel-Neuer-Gedächtnispreis verdient gehabt (62.).
Machtlos war der Rückhalt der Rheinhessen nur, als ihn die Joker Michael Gregoritsch (58.) und Lukas Kübler (79.) im Freiburger Flankengewitter aus kürzester Distanz per Kopf und Fuß überwanden. „Von der Konstanz und von den Einzelspielen“, sagte der FSV-Schlussmann hernach, sei es definitiv die beste Saison seiner Karriere. „Man wird hoffentlich mit den Jahren besser.“ Eine Berufung ins Nationalteam, so hörte sich das an, betrachtet der Mainzer Modellathlet mit den imposanten 1,96 Metern Körpergröße und 94 Kilo Lebendgewicht nur noch als Frage der Zeit.