Sie reden weiter
Falls Sie gerade aufgewacht sind und sich über einen freien Samstag gefreut haben, geht es Ihnen, zumindest in diesem Punkt, besser als denen, die uns demnächst regieren wollen. Die Unterhändler von Union und SPD sind auch gestern nicht mit ihren Sondierungen fertig geworden, das wollen sie jetzt am Wochenende schaffen.
Ist Schwarz-Rot also am Ende doch nur die Fortsetzung der Ampel mit anderen Mitteln? Schließlich sind das hier Sondierungen, nicht schon Koalitionsverhandlungen, es geht also eigentlich nur darum, einmal den Rahmen abzustecken, in dem man dann hart und konkret darüber streitet, wie man in den nächsten Jahren gemeinsam regieren will. Müsste das nicht viel schneller gehen?
An der Stelle kann ich Sie beruhigen: Bislang waren Friedrich Merz, Lars Klingbeil und die Leute hinter ihnen sogar erstaunlich schnell, wenn man sich die Dimension dessen vor Augen führt, was sie bislang beschlossen haben. Also die Milliardenkredite für Verteidigung und Infrastruktur, inklusive einer Komplettwende des künftigen Kanzlers, siehe unten. Und das Thema Migration, das als eines der nächsten anstand, ist ja kein ganz kleines. Hier hat sich Merz, Sie erinnern sich, im Wahlkampf derart weit aus dem Fenster gelehnt, dass die AfD ihn fast rausgeschubst hätte. Verhandlungen hat er damit nicht einfacher gemacht, aber das war ja damals schon klar. Jedenfalls offenbar allen außer Merz.
Allerdings dürfte den SPD-Verhandlern klar sein, dass ihre überschaubare Restmenge an Wählern vieles von dem, was Merz bei diesem Thema vorhat, gar nicht so schlecht findet. Daher, vorsichtige Prognose: Man wird sich irgendwie einigen.
Mehr Hintergründe hier: Im eigenen Lager wächst die Kritik, und die Partner zieren sich
Und er hatte doch recht
Ende vergangenen Jahres, zwei Tage vor Silvester, bin ich mit dem Zug nach Flensburg gefahren, gemeinsam mit meiner Kollegin Marina Kormbaki. Wir trafen uns dort mit Robert Habeck, damals noch Grünenkanzlerkandidat, und führten ein SPIEGEL-Gespräch mit ihm. Journalistisch gesehen lohnte sich die Reise in den Norden, Habeck hatte, anders als manche seiner Mitbewerber im Bundestagswahlkampf, eine klare Botschaft: »Nach Berechnungen von Experten sind in den nächsten Jahren etwa dreieinhalb Prozent unserer Wirtschaftsleistung für Verteidigung nötig. Das teile ich«, sagte er. »Wir müssen fast doppelt so viel für unsere Verteidigung ausgeben, damit Putin nicht wagt, uns anzugreifen.«
Auf unsere Frage, ob das bezahlbar sei, antwortete Habeck: »Ja, und es muss ja. Aber sicher nicht aus dem laufenden Haushalt und durch Kürzungen beim Bürgergeld. Das kann mathematisch-logisch gar nicht funktionieren.« Dann sagte er, eine derart hohe Summe lasse sich »am Ende nur über Kredite vorfinanzieren, egal, was Friedrich Merz und andere dem Land vorgaukeln wollen«.
Warum ich das hier noch mal erzähle? Weil gerade ziemlich genau das passiert, was Habeck damals, im Wahlkampf, als notwendig beschrieben hat. Die künftige schwarz-rote Koalition will, siehe oben, noch bevor sie richtig angefangen hat, Schulden im ganz großen Stil aufnehmen, um Deutschland wehrfähig zu machen. Aber damals, im Wahlkampf, fielen viele regelrecht über Habeck her, wiesen seine Forderungen zurück. Dabei war er derjenige, der da schon ehrlich war und realistisch beschrieb, was nun passieren müsse, deutlich bevor es im Oval Office zum Bruch zwischen Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj kam. Anders übrigens als Merz, der sich den gesamten Wahlkampf um die Frage herummogelte, wie die absehbar gigantischen Summen für die Bundeswehr finanziert werden sollten. Merz vermittelte den Wählerinnen und Wählern, das gehe schon irgendwie, wenn man hier und dort ein bisschen kürze.
Relevant wird das Ganze nun noch mal, weil Merz und seine wohl künftigen Bündnispartner von der SPD die Stimmen der Grünen brauchen, um ihre Milliardenpakete für Verteidigung und Infrastruktur durchzubringen – und zwar, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, nachdem CDU und CSU den Grünenkandidaten Habeck als sogenannten schlechtesten Wirtschaftsminister aller Zeiten vor sich hergetrieben haben. Nachdem Markus Söder, der offenbar nicht nur bei unappetitlichem Essverhalten und 180-Grad-Wenden, sondern auch im Nachtreten ein ganz Großer ist, Habeck und die Grünen nach der Wahl weiter mit Häme überzogen hat. Nachdem Merz und seine Partei Habeck und den Grünen vorgeworfen haben, sie wollten das Land mit ihrer Schuldenmacherei ruinieren. Nur, um jetzt noch mehr Schulden zu machen.
Ich sage mal so: Wäre ich ein Grüner, ich hätte wenig Lust, der Union die Zweidrittelmehrheit zu beschaffen. Und würde mir zweimal überlegen, wie ich im Bundestag abstimme.
Ich bin gespannt, wie das nächste Woche ausgeht.
Das SPIEGEL-Gespräch mit Robert Habeck: »Ich hatte schon das Gefühl, einen Draht zu Christian Lindner zu haben«
Warum redet keiner über Klingbeil?
Heute ist Weltfrauentag, in Berlin sind deshalb die Geschäfte zu, hier ist das ein Feiertag. Als Vater von drei Töchtern begrüße ich das ausdrücklich. Und möchte all denjenigen, die am Sinn dieses Tages zweifeln, die einem erzählen wollen, das brauche man doch alles gar nicht mehr, schließlich seien hier, in Deutschland, alle gleichberechtigt, zwei Namen zum Nachdenken geben: Lars Klingbeil, Saskia Esken.
Klingbeil und Esken sind Vorsitzende der SPD, die bei der Bundestagswahl gerade noch 16,4 Prozent bekommen hat, also ein selbst für sozialdemokratische Verhältnisse indiskutables, historisch schlechtes Ergebnis. Über Klingbeil allerdings lese und höre ich, er werde der starke Mann der SPD in der Koalition mit der Union. Über Esken hingegen höre und lese ich, sie müsse unbedingt weg, ersetzt werden. Ich nehme wahr, wie die Männer versuchen, sie in den Sondierungen zur Randfigur zu machen. Und ich werde den Verdacht nicht los, das könnte etwas damit zu tun haben, dass Esken eine Frau ist. Und sich weigert, als Frau so zu sein, wie die Männer sich das vorstellen.
Esken lächelt zum Beispiel nicht so oft, es heißt, sie schaue meist verkniffen. Aber würde man so was über einen Mann eigentlich sagen? Oder würde man da womöglich schreiben, er blicke ernst drein, der Weltlage angemessen? Es heißt auch, jeder Talkshow-Auftritt von Esken koste die SPD Wähler. Aber selbst wenn das stimmen sollte: Wie viele Stimmen bringen denn Klingbeils Auftritte bislang so ein?
Nur mal als Anstoß. Könnte man ja am Frauentag kurz drüber nachdenken.
Mehr dazu hier: Liebe Genossen und Genossen
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Verlierer des Tages …
… ist der Wolf. Die EU-Kommission will es den Mitgliedstaaten erleichtern, ihn abzuschießen. Künftig soll der Wolf nur noch »strengem« statt »sehr strengem« Schutz unterliegen. Die EU-Länder können auf dieser Grundlage den Abschuss erleichtern, müssen aber nicht. Der Bauernverband hat den Schritt begrüßt. Das kann ich, bei aller Sympathie für den Wolf, aus der Perspektive der Bauern verstehen. Und sollte ansonsten als Großstädter zu dem Thema wohl einfach schweigen.
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Foto: Guido Bergmann / BPA / EPAStanislav Krupar / DER SPIEGEL