Dieses Münchner Raketen-Start-up will jetzt ins All

Seit 2018 ist es im Gange, nun könnte sich das deutsche Space Race entscheiden. Drei deutsche Raketenhersteller sind beteiligt an diesem Wettrennen ins All: Isar Aerospace, Rocket Factory Augsburg (RFA) und Hyimpulse. Voraussichtlich an diesem Montag will Isar Aerospace nach eigenen Angaben zwischen 12.30 und 15.30 Uhr einen ersten sogenannten Microlauncher von der norwegischen Insel Andøya aus in den Weltraum starten. Wenn alles klappt, wäre dieser Testflug der erste Start einer orbitalen Trägerrakete aus Westeuropa. Die Raketen der europäischen Raumfahrtagentur Esa, Ariane und Vega, starten in Französisch-Guayana, das liegt in Südamerika.

Wer sich in der Produktionshalle der Raumfahrtfirma Isar Aerospace umschaut, sucht nach Teilen der 28 Meter großen Rakete, die das Start-up hier in Ottobrunn südöstlich von München baut: An einer Stelle liegen Strukturen für die Unterstufe, dort ein Tank und in einem anderen Bereich die künftige Raketenspitze. Das wichtigste Teil einer Rakete steht fast ein wenig unbeachtet auf einem kleinen Rollwagen, gleich bei den 3D-Druckern für die Brennkammer: Das selbst entwickelte Triebwerk Aquila, ohne das die Rakete namens Spectrum niemals abheben könnte. Etwa einen halben Meter hoch und 20 Kilogramm schwer, kann es einen Schub von etwa 75 Kilonewton entfesseln. Das bedeutet, dass das Triebwerk siebeneinhalb Tonnen Gewicht anheben kann. 75 Kilonewton – das entspreche ungefähr der Kraft eines Eurofighter-Triebwerks, sagt Firmenchef und Gründer Daniel Metzler, 32.

Münchner Raketen-Start-up
: Raketenstart in Norwegen verschoben – „Spectrum“ bleibt am Boden

Daten und Erfahrungen sammeln, das ist das Ziel des Münchner Start-ups Isar Aerospace, das am Montag einen sogenannten Microlauncher ins All schicken wollte. Doch wegen schlechten Wetters verzögert sich das Projekt.

Bald sollen neun solcher Motoren die Rakete gen Himmel heben. Dort soll ein zehnter Motor die obere Stufe antreiben, welche die Nutzlast, also die Satelliten, im Erdorbit aussetzt. Befeuert von flüssigem Sauerstoff und Propan, ein nach Angaben des Start-ups vergleichsweise sauberer Antrieb, der die Umwelt wenig belastet.

Die erste Rakete steht bereits an der Startrampe in Norwegen, ein Team von Isar Aerospace bereitet die Spectrum seit einigen Wochen auf den ersten Flug vor. Die letzten Tests mit den Raketenstufen und Triebwerken verliefen im Februar erfolgreich. Und nachdem die norwegische Zivilluftfahrtbehörde am vergangenen Freitag den Start genehmigt hat, wollen die Gründer den Microlauncher je nach Wetter voraussichtlich am Montag ins All schießen, das potenzielle Zeitfenster für die Mission „Going Full Spectrum“ dauert bis Sonntag kommender Woche.

Die Rakete von Isar Aerospace an der Startrampe auf Andøya. (Foto: Isar Aerospace)

Metzler ist aber bemüht, die Erwartungen herunterzuschrauben. „Man muss sich darauf einstellen, dass wir am Anfang wahrscheinlich nicht den Orbit erreichen werden, und das ist auch total okay so“, sagt er. Letztlich sei es der erste Testflug ohne Kunden-Nutzlasten und „der erste integrierte Test Zehntausender Komponenten“, sagt Mitgründer und Technologiechef Josef Fleischmann, 34. Es gibt also viele Tausend potenzielle Fehlerquellen. Es ist eben Rocket Science.

Schließlich können die Ingenieure vieles am Computer simulieren, Teile der Rakete in der Thermalvakuumkammer testen oder auf dem sogenannten Shaker durchschütteln. Einen Flug und den Kampf gegen die Schwerkraft kann dies aber nicht ersetzen. „Unabhängig davon, wie weit wir kommen, werden wir hoffentlich eine enorme Menge an Daten und Erfahrung sammeln“, sagt Fleischmann. „Daraus können wir für die nächsten Flüge lernen.“ Man könnte sagen, Irren gehört zum Geschäftsmodell. Diese Philosophie kommt einem bekannt vor, die kalifornische Raumfahrtfirma Space-X hat es mit ihren Falcon-Raketen vorgemacht.

Willkommen bei einer Vorzeigefirma des sogenannten New-Space-Bereichs, in der junge, hippe Firmen unkonventionell und hemdsärmelig versuchen, Raumfahrt günstiger zu machen – auch zugunsten der Steuerzahler. Das bedeutet kürzere Entscheidungswege, ungewöhnliche Vorgehensweisen oder auch eine geringere Abhängigkeit von Zulieferern, was eine schnellere Entwicklung und Produktion zur Folge haben kann. Oder eben auch mal einen Fehlschlag.

Die Raketenspitze der „Spectrum“ in der Fabrik von Isar Aerospace in Ottobrunn bei München. (Foto: Isar Aerospace)

Die Gründer, Metzler, Fleischmann und Markus Brandl, kennen sich von der TU München. Dort haben sie zusammen studiert, Luft- und Raumfahrt respektive Maschinenbau, und bereits kleine Raketen zusammen entwickelt.

Als das 2018 gegründete Start-up zwei Jahre später seine Fabrik in Ottobrunn eröffnete, gehörten etwa hundert Leute zum Team, mittlerweile sind es viermal so viele, sie kommen aus 50 Ländern. Auf das Konzept „Versuch und Irrtum“ haben die Gründer von Anfang an gesetzt. Sogar bei den Maschinen, die sie eingekauft haben. Die langen Lieferzeiten für diese Maschinen haben sie genutzt, um die Spectrum zu entwickeln. Sie bauten sozusagen eine Rakete, die an Fähigkeiten der künftigen Maschinen angepasst war und nicht umgekehrt. Das sparte Zeit.

Andererseits versuchen sie in Ottobrunn stets, das Gesamtsystem zu optimieren. Sprich: Wenn sich einzeln verbesserte Komponenten im Zusammenspiel negativ auf die Rakete auswirken, müssen diese Teile eben wieder etwas schlechter werden. Um weniger abhängig von Zulieferern zu sein, baut das junge Unternehmen knapp 90 Prozent der Teile selbst. So könne man schnell Varianten ausprobieren und spare sich viel Zeit im Hin und Her mit Herstellern. „Wir haben vom Rohmaterial bis zum integrierten Raketentriebwerk die komplette Fertigungskette bei uns inhouse“, sagt Metzler. Ausnahmen seien etwa Elektronikelemente wie Mikrochips, die würden zugekauft. Auch die meisten Tests passieren im Haus, da die Gründer Komponenten nicht nur stichprobenartig testen. Auf diese Weise könnten mehrere Raketen parallel produziert werden. Während die Rakete für den Erstflug längst in Norwegen ist, entstehen in Ottobrunn gerade die beiden nächsten Raketen.

Die Porsche Holding ist unter den Geldgebern

Zu den ersten Herausforderungen nach der Firmengründung vor sieben Jahren gehörte das Triebwerk. Es ist entscheidend, um die Rakete zu optimieren. Zwei, drei Jahre dauert die Entwicklung, sagt Metzler. Die Fertigung im 3D-Drucker gelingt innerhalb einer Woche. Metzler will jedes Jahr mehrere Hundert Triebwerke fertigen, die braucht er mittelfristig auch.

Am jetzigen Standort, der 8000 Quadratmeter groß ist, kann die Firma etwa zehn Raketen jährlich produzieren. Isar Aerospace baut etwa 20 Kilometer von Ottobrunn entfernt in Vaterstetten gerade eine fünfmal so große neue Fabrik, in der pro Jahr 40 Raketen entstehen können.

Isar-Aerospace-Gründer Daniel Metzler (links) und Josef Fleischmann. (Foto: Isar Aerospace)

Die Strategie des Unternehmens kommt bei den Investoren an. Die Gründer gehören europaweit zu den bestfinanzierten Start-ups der Branche. Sie haben 400 Millionen Euro eingesammelt, 2024 ist ein Nato-Fonds eingestiegen. Zu den Geldgebern gehören auch Airbus Ventures, Earlybird, Lakestar, Vsquared und die Porsche Holding. Aber auch Privatpersonen wie Bulent Altan oder die Wirtschaftswissenschaftlerin Ann-Kristin Achleitner und ihr Ehemann Paul Achleitner.

Bulent Altan war Ingenieur bei Elon Musks Raketenfirma Space-X und investiert nun in die europäische Raumfahrt. „Ich hatte mir schon viele Launch-Start-ups angeschaut und war meist ziemlich skeptisch“, sagte er mal der SZ. Stets sei es darum gegangen, eine Wettbewerbsnische gegen Space-X zu finden, das sei allerdings nicht gelungen. Dass er die Kultur von Space-X zu Isar Aerospace gebracht hat, sieht Altan nicht. „Meine Aufgabe war es eher, mit Erfahrung und Expertise zur Seite zu stehen und bei Bedarf natürlich auch mal eine Raumfahrtanekdote zu erzählen“, sagt er. Metzler habe selbst eine Firma aufgebaut, die so eine Kultur in sich trage. Altan sieht sich als Sparringspartner: „Ich treffe mich oft auch in der Freizeit mit Ingenieuren, um mich auszutauschen“, sagt er.

Tatsächlich haben die Gründer das Konzept von Space-X übernommen, möglichst viel selbst zu machen. Nur so seien die Komponenten optimal aufeinander abgestimmt, sagt Metzler. Isar Aerospace hat viel automatisiert, doch arbeiten hier in Ottobrunn auch viele Menschen. Im Schweißbereich stehen Lautsprecherboxen, aus denen stakkatoartige Rhythmen kommen. Die Musik vermischt sich mit dem sägenden Sound der Schweißgeräte. Mittendrin Emmanuel, es ist sein erster Job in der Spaceindustrie, sagt der Franzose. Die Boxen habe sein Kollege gebaut, „ohne Musik können wir nicht arbeiten“.

Auf der anderen Seite der Halle stehen mehrere 3D-Drucker. Sie sind nach Astronauten benannt: Apollo-11-Mondfahrer, Gemini-Astronauten. Während die Raketen damals in den Sechziger- und Siebzigerjahren aus Stahl waren, hat sich Isar Aerospace bei Verkleidung und Tanks für die teurere Carbonfaser entschieden. Nicht, weil sie leichter als Stahl ist, die Produktion von Carbon-Raketen könne besser automatisiert werden.

Die Ingenieure von Isar Aerospace haben die Triebwerke im Februar am Startplatz Andøya getestet. (Foto: Isar Aerospace)

Beim Design hat Isar Aerospace auch berücksichtigt, zumindest die Unterstufe mehrfach nutzen zu können. Für die Oberstufe sei das aus ökonomischen Gründen nur bei sehr großen Trägerraketen sinnvoll. Gut möglich, dass sein Start-up in diese Sparte vorrückt.  „Wir haben sicherlich größere Ambitionen“, hatte Metzler 2023 beim SZ-Wirtschaftsgipfel gesagt. Isar Aerospace könne Raketenstarts um den Faktor zehn günstiger machen. Esa-Chef Josef Aschbacher will die Hersteller von Microlaunchern unterstützen. „Unser Ziel ist es, mindestens zwei Microlauncher zu einem Heavylauncher in den Dreißigerjahren zu entwickeln“, sagt er. Die Esa hatte 25 Millionen Euro für einen Microlauncherwettbewerb der deutschen Raumfahrtagentur bereitgestellt. Demnächst will sie einen Wettbewerb für neue Trägerraketen ausschreiben, „für uns ist das ein wichtiges Programm“, so Metzler.

Jetzt geht es aber erst einmal um die Microlauncher, von denen Isar Aerospace zunächst zehn pro Jahr bauen möchte. Die zweistufige Spectrum soll eine Tonne Nutzlast in den unteren Erdorbit befördern. Zum Vergleich: Die neue Ariane 6 hat für diesen Orbit eine Kapazität von rund zehn Tonnen.

Metzler sieht einen wachsenden Markt für kleinere Raketen, hat bereits Buchungen bis 2027 und nennt Kunden wie Airbus und Esa. Zuletzt hat die norwegische Raumfahrtagentur Isar Aerospace damit beauftragt, zwei Satelliten zur Überwachung des Arktischen Ozeans zu starten.

Andøya: Hier soll der Traum der Münchner Gründer Wirklichkeit werden. (Foto: Isar Aerospace)

Mit einer Kleinrakete können Kunden ihre Satelliten flexibler und zielgerichteter ins All bringen. Auf großen Raketen können kleine und mittlere Satelliten nur auf sogenannten Rideshareflügen mit vielen anderen Nutzlasten starten. Das kann lange Wartezeiten bedeuten, und womöglich wird der Wunschorbit nicht angeflogen.

Aber gibt es überhaupt genug kommerzielle und institutionelle Kunden für Raketenbauer wie Isar Aerospace, um überleben zu können? Die abrupte Abkehr der USA von Europa und die Eskapaden von Space-X-Chef Elon Musk könnten den hiesigen Raketenherstellern zugutekommen. Europäische Kunden mit kleineren Satelliten werden womöglich auf Musks populäre Rakete Falcon 9 verzichten. Zumal Europa nun das Ziel verfolgt, in der Raumfahrt unabhängiger von den USA zu werden – souverän zu agieren.

Abgesehen davon rechnen Investoren mit steigenden Milliardenumsätzen in der Raumfahrt. Für 2027 erwartet etwa die Beratungsfirma PwC 70 Starts mit Microlaunchern – doppelt so viele wie 2023. Allerdings gibt es allein in Europa etwa 15 Launch-Start-ups. „Der Erfolg des Erstflugs ist entscheidend, da ein Misserfolg zu finanziellem Druck führt, wie die Insolvenz von Virgin Orbit nach einem fehlgeschlagenen Startversuch zeigt“, schreibt PwC. Gegründet von Milliardär Richard Branson, ging Virgin Orbit 2023 in ein Insolvenzverfahren.

Isar Aerospace wäre der erste deutsche Raketenbauer, der es ins All schafft. Hyimpulse hat vor einem Jahr mit seiner kleineren Höhenforschungsrakete SR75 etwa 50 bis 60 Kilometer Höhe erreicht, der eigentliche Microlauncher soll noch kommen. RFA peilt die zweite Jahreshälfte für seine Premiere an. „Wir nähern uns dem wichtigsten Moment unserer bisherigen Reise“, sagt Daniel Metzler. Doch für ihn ist der Start nur ein weiteres Puzzleteil. „Europa fehlt der autonome, regelmäßige Zugang zum Weltraum und entsprechende Fähigkeiten“, sagt Metzler. Dazu muss Spectrum aber erst einmal die Schwerkraft überwinden. „Raketen sind und bleiben technische Meisterleistungen, man bewegt sich permanent am Rande des physikalisch gerade noch möglichen.“

In einer früheren Fassung war davon die Rede, dass Isar Aerospace bereits Buchungen bis 2032 und Kunden wie Amazon und John Deere habe. Dies ist nicht korrekt, wir haben es korrigiert. Außerdem haben wir den Starttermin aktualisiert.

Verwandte Artikel

Next Post