CDU-Chef Friedrich Merz muss schon vor seiner geplanten Übernahme des Kanzleramts Kritik der Industrie einstecken. »Leider weisen die Koalitionsverhandlungen von Union und SPD derzeit in die falsche Richtung«, sagte der Präsident des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Bertram Kawlath, zum Auftakt der Hannover Messe. »Der Reformeifer verblasst schon wieder, bevor er so richtig begonnen hat.«
Dabei seien Reformen dringend notwendig. »Deutschland ist aktuell mangels Orientierung wie gelähmt«, sagte Kawlath. »Diesen Zustand müssen wir ganz schnell beenden.«
Die nächste Regierung müsse eine mutige Reformagenda vorlegen, forderte Peter Leibinger, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Nur so lasse sich die Stimmung im Land drehen. Denn derzeit sei die »schlechter, als ich es je erlebt habe«.
Industrieproduktion sinkt
Seit 2019 sei die Industrieproduktion in Deutschland um elf Prozent geschrumpft, sagte der BDI-Chef. In diesem Jahr erwarte er einen weiteren Rückgang um 0,5 Prozent. »Das wäre der vierte Rückgang in Folge«, sagte Leibinger.
Im Maschinen- und Anlagenbau sowie in der Elektro- und Digitalindustrie rechnen die Branchenverbände 2025 sogar mit zwei Prozent Minus bei der Produktion. Zwar werde der Tiefpunkt wohl im Laufe des ersten Quartals erreicht, hieß es beim VDMA. Doch die Erholung setze nur zögerlich, nicht flächendeckend und mit schwacher Dynamik ein.
Wirtschaft begrüßt Investitionen
Hoffnung machen der Industrie die geplanten Milliardeninvestitionen in Verteidigung und Infrastruktur. Die durch Schulden finanzierten Investitionen müssen dazu beitragen, die strukturellen Schwächen des Standorts Deutschland zu beheben, sagte Leibinger. »Entscheidend ist ein klares Konzept für den effizienten Einsatz des Milliardenpakets, das Vertrauen schafft. Nur so wird sich die Stimmung im Land nachhaltig drehen.«
Das allein werde aber nicht reichen. »Darüber hinaus muss die nächste Bundesregierung dringend notwendige Strukturreformen umsetzen, die langfristig wieder höheres Wachstum ermöglichen«, forderte Gunther Kegel, Präsident des Elektro- und Digitalindustrieverbandes ZVEI. »Anderenfalls droht, dass das Sondervermögen als Strohfeuer verpufft.«
Gefordert werden unter anderem niedrigere Steuern und bezahlbare Energie für die Industrie. Und vor allem weniger Bürokratie. »Die ausgeuferte Bürokratie lähmt die Unternehmen«, sagte Leibinger. »Wir müssen diese Fesseln lösen. Wir brauchen einen spürbaren großen Akt der Befreiung.«
»Wenn eine neue Regierung nicht alles auf Wachstum schaltet, geht Deutschlands Abstieg ungebremst weiter«, sagte unterdessen Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander der »Bild«-Zeitung. Er forderte, die Verhandlungen zu Wirtschaftsthemen noch einmal neu zu starten. »Die Parteichefs müssen die Kurve kriegen und sämtliche Zwischenergebnisse streichen, die die Wirtschaftskrise noch verschärfen«, so Zander. Die Kostenprobleme des Standorts Deutschland bei Energie, Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen müssten gelöst und die Bürokratie »geschreddert« werden.
Brief von Verbänden an Parteispitzen
In einem Brief zahlreicher Verbände an die Parteispitzen von CDU, CSU und SPD vom Wochenende hatte es bereits geheißen, bisherige Nachrichten aus den Koalitionsverhandlungen ließen befürchten, dass Betriebe ihre Investitionen wie zuletzt ins Ausland verlagerten oder ganz aufhörten und Investoren um Deutschland einen Bogen machten. »Alles, was Wachstum behindert, muss unterlassen werden. Das Tariftreuegesetz, ein Mindestlohn von 15 Euro oder die Mütterrente sind vor diesem Hintergrund abzulehnen.«
Das Schreiben lag der Nachrichtenagentur dpa vor. Aufgeführt wurden bekannte Forderungen wie ein umfassender Bürokratieabbau, Steuersenkungen, eine Verringerung der Sozialabgaben und Energiekosten oder mehr Flexibilität im Arbeitsrecht.