Wie die AfD versucht, Forschende einzuschüchtern

Heinz-Jürgen Voß hat die Bedrohungsmails irgendwann nicht mehr selbst geöffnet. Er hat Freunde gebeten, das für ihn zu tun. Voß ist Professor für Sexualwissenschaft und Sexuelle Bildung an der Hochschule Merseburg in Sachsen-Anhalt. Und seit einiger Zeit steht er im Fadenkreuz der AfD.

Vor rund 15 Jahren hatte Voß in seiner Doktorarbeit argumentiert, dass Forschende in der Biologie und Medizin häufig davon ausgingen, dass es nur zwei Geschlechter gebe, und ihre Ergebnisse entsprechend interpretierten. Dabei wisse die Biologie längst, dass Geschlecht vielfältig sei und nicht binär. Voß’ Thesen sind vielen Rechten ein Dorn im Auge.

Und so wurden er und seine Arbeit Ende 2023 zum Thema einer Kleinen Anfrage der AfD-Fraktion in Sachsen-Anhalt. Eigentlich sind diese als Instrument parlamentarischer Kontrolle gedacht. Doch die AfD-Abgeordneten hatten in den Text persönliche Informationen aus Voß’ Biografie eingestreut. »Sie wollen damit klarmachen, dass sie Wissenschaftler*innen beobachten und einschüchtern«, interpretiert Voß das Vorgehen.

Meine Kolleginnen Anika Freier und Franziska Schindler haben mit dem Wissenschaftler sowie Forschenden aus anderen Fachbereichen über Angriffe auf deren Arbeit und Persönlichkeit gesprochen. Sie wollten wissen, wie Hasskommentare und Shitstorms die Freiheit der Forschung beeinflussen und wie Forschende damit umgehen. Ihre Geschichte lesen Sie hier .

In ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl schrieb die AfD zwar, dass die Freiheit von Lehre und Forschung unbedingt zu gewährleisten sei. Das gilt offenbar aber nur für Forschung in ihrem Sinne. Im gleichen Absatz fordert die Partei, die »unwissenschaftliche Genderforschung« nicht weiter zu finanzieren. An anderer Stelle stellt sie Fakten zum Klimawandel infrage und degradiert Forschung zur Coronapandemie.

Die Narrative, die hier verbreitet werden, so schreiben Anika und Franziska, können zur Gefahr werden für das Wissenschaftsklima, das doch vom uneingeschränkten Austausch der Ideen lebt.

Herzlich,
Ihre Kerstin Kullmann

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Bild der Woche

Erste Frühlingsboten entdeckt dieses Mädchen in der japanischen Stadt Kawazu: Rund drei Stunden südlich von Tokio, auf der Halbinsel Izu, wird das historische Kirschblütenfest rund einen Monat früher gefeiert als in der Hauptstadt. Ab Februar öffnen sich die Knospen des »Kawazu Sakura«-Baums, einer Züchtung aus zwei Kirschbaumsorten, die in dem milden Klima besonders früh und lange blüht. Jedes Jahr strömen fast zwei Millionen Besucher hierher, um den Winter zu verabschieden.

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Protest am Internationalen Frauentag gegen Rechtsradikalismus und die AfD

Foto: IPON / IMAGO
Foto: Takashi Aoyama / Getty Images

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