Der Schattenminister
Berlin-Mitte ist gerade ein Marktplatz der Namen. Namen werden gehandelt, geraunt, ins Spiel gebracht, verworfen, abgewogen, bewertet. Es geht, natürlich, um die Frage, wer im Kabinett Merz sitzen wird, wer Ministerin oder Minister, Staatssekretärin oder Fraktionschef wird. Ein paar Tage wird das noch so gehen, erst nächste Woche sollen die Personalien öffentlich gemacht werden.
Bis dahin bleibt den Aspirantinnen und Aspiranten nur, sich selbst ins Gespräch zu bringen oder in Schweigen zu hüllen. Wobei es noch einen dritten Weg gibt: einfach mal loszulegen, so als wäre man schon Minister. Diesen Weg hat offensichtlich Johann Wadephul, 62, gewählt.
Der CDU-Politiker, das ist kein Geheimnis, würde sehr gern Außenminister werden. Und er ist gerade in der Welt unterwegs, als wäre er es schon. Offiziell ist er in seiner Funktion als stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion unterwegs, zuständig für Außenpolitik.
Vor zwei Wochen postete er auf X ein Foto mit dem polnischen Außenminister Radosław Sikorski aus dem Fußballstadion. Dann traf er in Paris den französischen Außenminister Jean-Noël Barrot, fast eineinhalb Stunden dauerte ihr Gespräch. Gestern war er in Rom, nicht nur um dem verstorbenen Papst die letzte Ehre zu erweisen, sondern auch, um den italienischen Außenminister Antonio Tajani zu treffen – und hinterher Fotos von beiden Stationen zu posten. Nächster Halt, heute: London. Dort steht dem Vernehmen nach ein Gespräch mit David Lammy auf dem Programm, dem Außenminister im Kabinett von Premier Keir Starmer.
Eine Werbetour in eigener Sache? Oder weiß da einer schon, was er wird?
»Ich glaube nicht, dass er schon endgültig etwas weiß«, schreibt mir mein Kollege Paul-Anton Krüger, der Wadephul gut kennt. »Aber seine aktuellen Reisen ergeben schon ein gewisses Bild. Er würde sie kaum unternehmen, ohne das mit Friedrich Merz abzustimmen, den er auch schon bei der Münchner Sicherheitskonferenz begleitet hat. Und es würde wohl international Irritationen auslösen, wenn Wadephul die vier für Deutschland wichtigsten Außenminister in Europa trifft und Merz anschließend jemand anderem das Auswärtige Amt anvertraut.«
Nächste Woche dürften wir mehr wissen.
Mehr dazu hier: Diese Frauen und Männer könnten im Kabinett Merz sitzen
Von London nach Pretoria
Auch Wolodymyr Selenskyj ist derzeit viel unterwegs, in viel größerer, existenzieller Sache, die weit über seine Person hinausgeht. Es geht um den Frieden. Heute wird Selenskyj in Pretoria, Südafrika, erwartet, um dort über ein Ende des Kriegs in seinem Land zu sprechen.
Warum dort? Wird nicht anderswo entschieden, ob und wie dieser Krieg endet, in Washington, Peking, Moskau? Schon, einerseits. Denn dort sitzen die entscheidenden Akteure. Andererseits gibt es auch eine afrikanische Friedensinitiative, sie wird von Südafrika angeführt. Und vor allem haben die Länder des sogenannten Globalen Südens ihren eigenen Blick auf diesen Krieg. Sie sind weiter weg als die Europäer, blicken zum großen Teil kälter auf das Geschehen, wägen ab, wo ihre eigenen Interessen liegen. Wer und was ihnen nützt.
Russland hat das schon lange verstanden und versucht, diese Länder auf seine Seite zu ziehen. Es ist gut, wenn sich auch die Ukraine um sie bemüht. Gerade in diesen womöglich entscheidenden Tagen.
Mehr dazu hier: Sie nannten ihn Churchill – und jetzt?
Ende einer Amtszeit
Robert Habeck hat heute einen Termin, der ihm gleich in doppelter Hinsicht unangenehm sein dürfte. Der Grüne ist, man konnte das zuletzt fast vergessen, noch immer Bundeswirtschaftsminister. In dieser Funktion stellt er heute die Frühjahrsprojektion der geschäftsführenden Bundesregierung vor, also den Ausblick auf die wirtschaftliche Entwicklung. Habeck tut das zum letzten Mal, sein Amt wird er demnächst los sein, wenn Schwarz-Rot übernimmt. Das ist der eine Punkt, der ihn schmerzen dürfte. Der andere, womöglich noch schmerzhaftere Aspekt dieses Termins ist der Inhalt der Prognose.
Die Regierung geht für das laufende Jahr wohl nur noch von einem Nullwachstum aus, also einer Stagnation nach zwei Jahren Rezession. Im Jahreswirtschaftsbericht hatte die Regierung Anfang des Jahres zumindest noch ein minimales Wachstum von 0,3 Prozent angenommen. Trübe Stimmung. Habecks Ende als Minister unterscheidet sich da nicht vom größten Teil seiner Amtszeit.
Künftig wird die CDU das Wirtschaftsministerium besetzen, die den Minister Habeck in den vergangenen Jahren mit teils unverhältnismäßiger Kritik überzogen und vor sich hergetrieben hat. Für 2026 erwartet die Bundesregierung einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 1 Prozent. Sollte es so kommen, dürfte Habecks Nachfolgerin oder Nachfolger die Trendwende als eigenen Erfolg verbuchen. Sollte es schlechter kommen, dürfte er oder sie Habeck zum Schuldigen erklären.
Mehr dazu hier: Habeck will sich aus dem Bundestag zurückziehen
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Gewinner des Tages…
…ist Jonas Gahr Støre. Norwegens Ministerpräsident wird heute im Weißen Haus von Donald Trump empfangen, was aus zwei Gründen beachtlich ist. Erstens ist Støre Sozialdemokrat, dürfte aus Trumps Sicht also tendenziell unter Verdacht stehen, demnächst die proletarische Weltrevolution vom Zaun zu brechen. Zweitens führt Støre ein Land mit gerade mal fünfeinhalb Millionen Einwohnern, aus Trumps Sicht also einen Zwergstaat. Allerdings gibt es in Norwegen eine Menge Erdöl. Und Erdgas. Womöglich spielt das eine Rolle. Und möglicherweise ist Støre am Ende des Tages gar kein Gewinner, sondern eher ein Verlierer. Abwarten, wie das Treffen mit Trump verläuft.
Wie sicher sind die norwegischen Erdgaspipelines?
Die jüngsten Meldungen aus der Nacht
US-Präsident deutet mögliche Einigung mit Russland im Ukrainekrieg an: Donald Trump hat im Wahlkampf damit geprahlt, binnen 24 Stunden den Ukrainekrieg zu beenden. Weit ist er bisher nicht gekommen. Jetzt hat der US-Präsident über einen angeblichen Deal mit Wladimir Putin gesprochen.
Indien setzt Wasservertrag mit Pakistan aus: Die Regierung in Neu-Delhi macht Pakistan für den Anschlag auf eine Touristengruppe im indisch kontrollierten Teil von Kaschmir mitverantwortlich. Jetzt sollen gleich mehrere Strafmaßnahmen den verfeindeten Nachbarn treffen.
Mehrere Tote bei israelischem Luftangriff auf ehemaliges Schulgebäude: Israels Armee hat eine ehemalige Schule in Gaza bombardiert, nach palästinensischen Angaben starben mindestens zehn Menschen. Israel spricht von einem Angriff auf eine terroristische Kommandozentrale.
Heute bei SPIEGEL Extra: Superfood im Check – Wie gesund ist Spargel?
Des Deutschen liebste Stange gilt zwar als »König der Gemüse«, ist aber nicht zwingend gesund. Wie aus dem deftigen Spargelessen eine Kur für Ihren Körper wird.
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihr Christoph Hickmann, Leiter des SPIEGEL-Hauptstadtbüros
Außenpolitiker Wadephul: Bald Minister?
Foto:Odd Andersen / AFP
Präsident Selenskyj: Weltweit unterwegs
Foto: Evgeniy Maloletka / AP / dpaWirtschaftsminister Habeck: Trübe Stimmung
Foto: IMAGO/Jürgen HeinrichTerje Pedersen / NTB / IMAGO
[M] Linna Grage / DER SPIEGEL; Fotos: Nik_Merkulov / iStockphoto / Getty Images; Francois-Edmond / Getty Images