Gewackelt gegen die Genossen

Kameradschaft statt Klassenkampf: Zwei Klubs, von denen man eigentlich erbitterten Klassenkampf erwartet, leben schon seit Längerem in zugewandter Verbundenheit. Die Ultra-Gruppierungen des FC St. Pauli und des FC Bayern pflegen eine Freundschaft, ebenso wie die Verantwortlichen, allen voran Uli Hoeneß, dem seit Neuestem auch ein kleines Stück FC St. Pauli gehört. Bayerns Ehrenpräsident zeichnete im Vorfeld des Aufeinandertreffens am 27. Spieltag Anteile an St. Paulis Genossenschaftsprojekt. Die Gastfreundschaft, die die Bayern am Samstagnachmittag zwischenzeitlich zeigten, ging aber wahrscheinlich auch Hoeneß zu weit.

Die Ergebnisse:

FC Bayern München – FC St. Pauli 3:2 (1:1)

TSG Hoffenheim – FC Augsburg 1:1 (0:0)

Borussia Mönchengladbach – RB Leipzig 1:0 (0:0)

Holstein Kiel – Werder Bremen 0:3 (0:1)

VfL Wolfsburg – FC Heidenheim 0:1 (0:1)

Bereits am Freitagabend hatte Bayer Leverkusen im Fernduell mit den Bayern vorgelegt und Abstiegskandidat VfL Bochum 3:1 (1:1) geschlagen.

Kane wie Klose: Gegen alle Bundesligisten hatte Harry Kane bereits getroffen – außer gegen den FC St. Pauli. Das sollte sich in der 17. Minute ändern. Die drittbeste Verteidigung der Bundesliga hebelte sich im Aufbauspiel selbst aus, Siebe Van der Heyden verlor den Ball an Jamal Musiala und Kane bestrafte den Fehler der Hamburger. Kane hat nun gegen alle 19 Vereine getroffen, gegen die er bislang auflief. Das gelang einst auch Miroslav Klose, der mindestens ein Tor gegen alle seine 28 Ligagegner erzielte .

Das Problem der Bayern: Dayot Upamecano fällt mehrere Wochen aus, Alphonso Davies mehrere Monate. Neben Stammtorhüter Manuel Neuer fehlt den Bayern damit seit der Länderspielpause die Hälfte ihrer präferierten Viererkette. Dass das in der entscheidenden Phase der Saison ein ernsthaftes Problem werden könnte, zeigte sich beim Ausgleichstreffer der Gäste. Über die linke Bayern-Seite, wo Raphaël Guerreiro in die Startelf gerückt war, drängte St. Pauli nach vorn. Eric Dier und Kim Min-jae ließen den Ball an sich vorbeirollen, wodurch Elias Saad unbedrängt einschieben konnte (27.). Die Abwehrnot der Bayern wurde im zweiten Durchgang noch größer: Der eingewechselte Innenverteidiger Hiroki Itō musste den Platz angeschlagen wieder verlassen (89.). Da Bayern schon fünfmal gewechselt hatte, waren die Münchner in den Schlussminuten in Unterzahl – und kassierten den Anschlusstreffer durch Lars Ritzka (90.+3).

Zurück zu alten Verhältnissen: Bayern präsentierte sich zuletzt in der ungewohnten Rolle des Punktelieferanten für abstiegsbedrohte Klubs: Eine Niederlage gegen Bochum und ein Remis bei Union Berlin gab es in der Bundesliga. Dementsprechend ernst nahm Trainer Vincent Kompany das Spiel gegen die Hamburger. »Ich habe die gesamte Woche nur St. Pauli gesehen«, sagte er über eine Gegneranalyse, die von Selbstgeißelung fast nicht zu unterscheiden war. Am Ende war es ein Doppelpack von Leroy Sané, der den Torhüter zweimal im Eins-gegen-eins überwand (53./71.), durch den die Bayern ihren Sechs-Punkte-Vorsprung an der Tabellenspitze verteidigten. »Leroy hat gezeigt, was er für die Mannschaft leisten kann und wie wichtig er ist«, sagte Sportdirektor Christoph Freund bei Sky über den Matchwinner, dessen Vertrag im Sommer ausläuft.

Ohne Kleindienst, mit dem Kopf: Auch ohne den gesperrten Nationalstürmer Tim Kleindienst hat Borussia Mönchengladbach in vorbildlicher Kleindienst-Manier gewonnen. Gegen RB Leipzig drückte Alassane Pléa aus kurzer Distanz einen Abpraller per Kopf über die Linie (56.). Gladbach überholt damit in der Tabelle die Leipziger und kann sich als Tabellenfünfter Hoffnungen auf die Champions League machen. Leipzig, das die kurzfristigen Ausfälle von Torhüter Péter Gulácsi und Mittelfeldspieler Kevin Kampl verkraften musste, bleibt im siebten Auswärtsspiel nacheinander sieglos. Die beste Möglichkeit, diese Serie zu durchbrechen, bietet sich am kommenden Mittwoch: Dann geht es für RB zum DFB-Pokal-Halbfinale nach Stuttgart.

Überraschungstor, Teil eins: Nach einer ersten Hälfte, die keinerlei Hoffnung auf Tore machte, gelang Augsburg wenige Sekunden nach Wiederanpfiff die überraschende Führung: Der in der Pause eingewechselte Samuel Essende bugsierte eine Flanke volley ins Tor (46.). Es blieb daraufhin ein weitestgehend ereignisloses Spiel, was für die Augsburger und vor allem Finn Dahmen eine hervorragende Nachricht war: In der ersten Hälfte hatte er als fünfter Torhüter in der Bundesligageschichte die 11-Stunden-Marke geknackt: So lange hatte er kein Gegentor mehr kassieren müssen.

Überraschungstor, Teil zwei: Aus dem Spiel heraus schafften es die Hoffenheimer nicht, die Defensive der Augsburger aus dem Konzept zu bringen. Dass Dahmens Serie dennoch riss, war einer unglücklichen Aktion geschuldet. Ein Abpraller sprang Augsburgs Kapitän Jeffrey Gouweleeuw aus kürzester Distanz an den Oberarm. Der Schiedsrichter Tobias Reichel zeigte auf den Elfmeterpunkt, eine Entscheidung, die nicht nur Augsburg-Fans mit gewisser Ungläubigkeit zurücklassen dürfte. TSG-Stürmer Andrej Kramarić verwandelte zum Ausgleich (71.), zum ersten Mal seit 683 Minuten wurde Dahmen überwunden. Die Serie seines Teams blieb dagegen bestehen: Nach elf Spielen ohne Niederlage darf Augsburg weiterhin von Europa träumen, während Hoffenheim fünf Punkte vom Relegationsplatz trennen.

Traumtore im Norden: Erstmals war Ole Werner als gegnerischer Trainer im Holstein-Stadion zu Gast. Werner, der als Spieler, Jugendcoach, Co- und Cheftrainer in Kiel tätig gewesen war, begegnete dem Nordduell dennoch mit norddeutschen Emotionen (O-Ton Werner: »Keine großen«). Für Bremer Jubel sorgte Marvin Ducksch mit einem Freistoß, der Erinnerungen an das Tor von Toni Kroos gegen Schweden bei der WM 2018 weckte. Aus spitzem Winkel zirkelte er den Ball ins lange Eck. Von der Latte sprang der Ball ins Tor (25.). Kiels Trainer Marcel Rapp reagierte auf die schwache Vorstellung des Tabellenletzten mit einem Dreifachwechsel nach 35 Minuten. Nicht weniger eindrucksvoll erhöhte Bremens Felix Agu, der den Ball aus 25 Metern in den rechten Winkel schlenzte (59.).

Ein beeindruckendes Jubiläum: Am 22. September 2007 stand Frank Schmidt in der Oberliga Baden-Württemberg erstmals als Heidenheimer Trainer an der Seitenlinie. Aus dem Interimstrainer wurde eine Institution. In Wolfsburg bestritt Schmidt nun sein 700. Spiel als Heidenheimer Chefcoach. Schmidt und der FCH haben zusammen viel erlebt – einen Abstieg jedoch noch nie.

Getackert und getroffen: In der Anfangsphase war Heidenheims Marvin Pieringer gleich in zwei folgenschwere Zweikämpfe verwickelt: In einem Luftduell zog er sich eine Platzwunde am Auge zu und musste verarztet werden (11.). Drei Minuten später traf ihn Wolfsburgs Verteidiger Marvin Pieringer am Fuß. Dieses Mal musste Pieringer nicht behandelt werden und durfte stattdessen einen Elfmeter schießen (16.). Durch den Sieg schiebt sich Heidenheim auf den Relegationsplatz, Bochum ist neuer Tabellenvorletzter.

Marvin Pieringer beim Elfmeter

Foto: Eibner-Pressefoto / Scott Coleman / Eibner / IMAGO

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